Am 24.09.2025 fand im Stadtteilzentrum Weißensee in der Pistoriusstraße 23 die Lesung zum Buch „Der große Schock – Ostdeutsche erzählen von den Folgen der Treuhandpolitik“ statt. Herausgeberin ist Katrin Rohnstock, die mit ehemaligen Beschäftigten aus fünf Thüringer Betrieben in Erzählsalons Geschichten zur Wendezeit gesammelt hat.
„Wir haben alles versucht, um die Schließung der Kaligrube zu verhindern.“ Bernd Schmelzer, ehemaliger Kumpel im Kaliwerk Bischofferode, steht vor fast 100 Zuhörern, die zur Lesung gekommen sind. Er erzählt, wie ostdeutsche Arbeiter 1993 mit Mut, Entschlossenheit und Durchhaltevermögen für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze kämpften – vergeblich.

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Im Buch, erschienen im Bebra Verlag, sind 35 Geschichten von Menschen aus fünf Thüringer Betrieben versammelt, die mit Ohnmacht und Wut miterleben mussten, wie ihre teils hochmodernen Unternehmen von der Treuhand verscherbelt oder in die Insolvenz getrieben wurden. Statt Mitbestimmung und Teilhabe, für die viele 1989 auf die Straße gegangen waren, erlebten sie ein Treuhandgebaren, das ihnen keine Chance ließ – und sie mit Entscheidungen konfrontierte, die fernab ihrer Lebensrealität getroffen wurden.
„Die Treuhand verhinderte, dass ostdeutsche Führungskräfte das Möbelwerk übernehmen“ – lautet das Fazit des Kapitels über die Möbelwerke Eisenberg.
Selten waren wir so nah an den Erlebnissen der Nachwendezeit, deren Demütigungen, Abwertungen und Respektlosigkeiten bis heute im Osten nachwirken.
Die Geschichte von Wolfgang Germanus aus dem ESDA-Werk Diedorf, gelesen von Dieter Kraft, zeigt eindrucksvoll, wie leistungsfähig auch dieser Betrieb war – und wie wenig Chancen er nach dem Eintritt in die Marktwirtschaft erhielt.
Einen regelrechten Treuhand-Krimi präsentierte Lukas Stoll, Jurist, Jahrgang 1991 aus Frankfurt am Main. Er hatte die Treuhandakten zum Relaiswerk Großbreitenbach studiert. Während das Vorgehen der Treuhand für die Beschäftigten ein Rätsel blieb, zeigen die Akten deutlich: „Ein ernsthafter Versuch der Treuhand, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu verbessern, war nicht erkennbar“, so Stoll. Der westdeutsche Konkurrent konnte mit Hilfe der Treuhand alles tun, damit das ernstzunehmende Ost-Unternehmen nicht wieder auf die Beine kam – Kapitalismus in seiner reinsten Form.
„Diese Lesung sollten sie im Westen machen, damit sie auch mal verstehen, wo wir herkamen – und wie man mit uns umging“, sagte ein Besucher zum Abschluss.
Ganz sicher werden weitere Lesungen folgen. Die Veranstaltung, Teil des Weißenseer Kultursommers, war für die Veranstaltenden ein starker Impuls und Ermutigung dafür.



Erzählsalons im Stadtteilzentrum Weißensee
Lebenserinnerungen e.V. und FreiZeitHaus e.V. laden ein zu zwei Veranstaltungen, in denen Bewohner und Bewohnerinnen von Weißensee ihre Geschichte zur Deutschen Einheit erzählen. Wie hat sich das Leben verändert? Was war traurig, was war schön? Wie haben die Menschen es geschafft, in eine andere Gesellschaft hineinzuwachsen. In zwei großen Erzählsalons werden Geschichten erinnert und ausgetauscht.
Der 1. Erzählsalon findet am 14.10., um 18:30 Uhr zum Thema „Leben und Arbeiten in Weißensee – vor und nach der Deutschen Einheit“.
Der 2. Erzählsalon findet am 18.11. statt und geht der Frage nach „Wie ich nach Weißensee kam – vor und nach der Deutschen Einheit.“
Diese Veranstaltungen finden in Kooperation mit Lebenserinnerungen e.V. statt und werden im Rahmen des Bundesprogramms Demokratie Leben gefördert.
Näheres auf der Seite vom Stadtteilzentrum Weißensee